Austauschbarkeit von Arzneimitteln mit komplex zusammen-gesetzten Wirkstoffen

Austauschbarkeit von Arzneimitteln mit komplex zusammen-gesetzten Wirkstoffen

Zu den "non-biological complex drugs" (NBCD) werden vier Arzneimittel(gruppen) gerechnet: die niedermolekularen Heparine, die Glatiramoide, die Eisen-Kohlenhydrat-Komplexe und liposomale Parenteralia (z.B. mit dem Wirkstoff Doxorubicin). Ihnen allen ist gemeinsam, dass es sich um Arzneimittel komplexer Zusammensetzung handelt. Allerdings befinden sich unter ihnen mit den niedermolekularen Heparinen auch Arzneimittel biologischen Ursprungs, so dass die Bezeichnung "non-biological complex drug" diskussionswürdig ist. Keines der Produkte ist jedoch biotechnologischen Ursprungs (also ein sog. "Biological"), was durch den international eingeführten Namen NBCD zum Ausdruck gebracht werden soll.
Grundsätzlich unterscheiden sich alle NBCD ganz erheblich von Arzneimitteln mit kleinen, chemisch definierten Molekülen, indem

  • sie nicht aus einer einheitlichen molekularen Struktur, sondern aus einer Vielzahl sehr ähnlicher komplexer Komponenten bestehen,
  • die gesamte Mischung ähnlicher Moleküle als "der Wirkstoff" anzusehen ist,
  • die Komplex-Eigenschaften – bislang – nicht vollständig mit Hilfe physikochemischer Analysen charakterisiert werden können,
  • ein gleichbleibender, sorgsam kontrollierter Herstellungsprozess unabdingbar für die Einheitlichkeit und Reproduzierbarkeit des Produktes ist und
  • die klinische Bedeutung von eventuellen Differenzen in den komplexen Produkteigen-schaften meist nicht – oder zumindest nicht umfassend – bekannt ist, wie z.B. deren Immunogenität.



Diese sehr komplexe Molekül- bzw. Produktstruktur macht die Entwicklung von generischen Alternativen, also Präparaten mit einer molekular-identischen Zusammensetzung, praktisch unmöglich. Vielmehr wird bei diesen Arzneimitteln die Komposition des jeweiligen Produktes durch den speziellen Herstellungsprozess bestimmt ("the process is the product "). Insofern ist die Abgrenzung dieser Gruppe von denjenigen Arzneimitteln mit chemisch definierter Zu-sammensetzung nicht nur sinnvoll, sondern zwingend.

Die verschiedenen NBCD-Arzneimittel haben außer der Komplexität ihrer Zusammensetzung keine unmittelbaren Gemeinsamkeiten. Daher gibt es für sie bislang auch kein einheitliches regulatorisches Konzept. Einen Sonderfall stellen allerdings die niedermolekularen Heparine insofern dar, als sie angesichts ihres biologischen Ursprungs in Europa bei der Zulassung wie ein "Biosimilar" behandelt werden.

Eine entsprechende Einstufung ist dagegen bei den Glatiramoiden, den Eisen-Kohlenhydrat-Komplexen und den liposomalen Parenteralia angesichts ihres nicht-biologischen Ursprungs unmöglich, obwohl auch hier die komplexe Zusammensetzung eine generische Entwicklung ausschließt. Selbst mit Hilfe der leistungsfähigsten heute verfügbaren, hoch empfindlichen und selektiven Analysemethoden lässt sich die molekulare Zusammensetzung der Produkte nur unzureichend charakterisieren. Dies gilt natürlich in gleichem Maße für den Vergleich von "Originator"- mit "Nachahmer"-Produkten, für die daher eine identische Zusammensetzung nicht zweifelsfrei belegt werden kann. Folglich können solche Präparate auch nur als "weit-gehend ähnlich" ("similar") eingestuft werden. Als Konsequenz kann – anders als bei den Generika – eine bezugnehmende Zulassung über Bioäquivalenznachweis in diesen Fällen keinesfalls akzeptiert werden. Vielmehr müssen ebenso umfangreiche pharmazeutisch-analytische Untersuchungen sowie präklinische und klinische Studien – jeweils im Vergleich zum "Originator" – verlangt werden wie bei der Entwicklung von Biosimilars.

Diese grundsätzliche Einschätzung betrifft nicht nur die Voraussetzungen für die Zulassung in der Europäischen Union, sondern auch die Beurteilung der "Austauschbarkeit" der NBCD im Zuge ihres therapeutischen Einsatzes. Dieser Aspekt ist für Biosimilars eindeutig geregelt, indem bei diesen eine Aut-idem-Substitution gemäß Rahmenvertrag nach §129 Absatz 2 SGB V grundsätzlich ausgeschlossen wird. Diese Entscheidung begründet sich durch die Komplexität der Produktzusammensetzung, die nur eine "ähnliche" – aber möglicherweise nicht wirklich identische – klinische Wirksamkeit (sowie Unbedenklichkeit) gewährleistet. Hinzu kommt, dass die klinischen Vergleichsstudien im Allgemeinen nicht so angelegt sind, einen Wechsel von einem auf ein anderes Produkt während einer laufenden Therapie abzu-bilden. Diese Regelung sollte auch auf die anderen NBCD ausgedehnt werden, die in dieser Hinsicht gleich einzuschätzen sind.

Die eingehende Analyse der spezifischen Charakteristika der NBCD führt zu dem Ergebnis, dass angesichts der besonderen Produkteigenschaften dieser Arzneimittel mit ihrer in allen Fällen sehr komplexen Zusammensetzung eine einfache bezugnehmende Zulassung – allein gestützt auf einen pharmakokinetischen Bioäquivalenznachweis anhand eines einzelnen Inhaltsstoffs – keinesfalls akzeptabel ist. Um in diesen Fällen Therapiesicherheit zu gewähr-leisten, sind klinische Studien zum Beleg von Wirksamkeit und Unbedenklichkeit – jeweils im Vergleich zum "Originator" – unerlässlich (ggf. auch gestützt auf umfassende pharmakody-namische Untersuchungen). Dabei muss in jedem Einzelfall sichergestellt werden, dass die vergleichbaren therapeutischen Effekte für die "Nachahmerprodukte" mit Hilfe adäquater klinischer – oder paraklinischer (z.B. bildgebender Verfahren) – Endpunkte belegt werden. Es bleibt abzuwarten, in wie weit dies für die jeweiligen Präparate tatsächlich erfolgt. Aus Sicht der Fachkreise, die schließlich mit dieser Problematik in der Praxis umgehen müssen, ist darüber hinaus zu fordern, dass die Erkenntnisse aus diesen klinischen Studien für sie in einer Form zur Verfügung stehen, die es ihnen erlaubt, ihrer Verantwortung für die wirksame und sichere Arzneibehandlung der Patienten jederzeit gerecht zu werden. Darüber hinaus ist wichtig, dass auch die Sicherheit der "Nachahmerprodukte" während ihrer therapeutischen Anwendung in "Post-Authorization-Safety-Studies“ weiter beobachtet und überprüft wird.

Für solche NBCD, die zur Dauertherapie eines sorgsam eingestellten Patienten eingesetzt werden sollen, kann daher – analog zu den Biosimilars – bis zum Beleg der "therapeutischen Austauschbarkeit" eine "Aut-idem-Substitution" nicht empfohlen werden. Auf der Basis des derzeitigen Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse hält die DPhG eine Aufnahme der NBCD in die vom Gemeinsamen Bundesausschuss publizierte "Substitutionsausschlussliste" für angezeigt – soweit sie nicht, wie die niedermolekularen Heparine, als Biosimilars von der Substitution ohnedies ausgeschlossen sind.

An diesem Statement haben mitgewirkt:

Prof. Dr. Susanne Alban, Kiel
Dr. Michael Binger, Wiesbaden
Prof. Dr. Henning Blume, Oberursel
Prof. Dr. Wolfgang Brück, Göttingen
Dr. Joachim Burschäpers, Frankfurt
Prof. Dr. Theodor Dingermann, Frankfurt
Dr. Daniel Fendji, Berlin
Prof. Dr. Sebastian Harder, Frankfurt
Prof. Dr. Eva Herrmann, Frankfurt
Lothar Jungbluth, Obertreis
Prof. Dr. Michael Lämmerhofer
Prof. Dr. Stefan Laufer, Tübingen
Dr. Martin Lorenz, Frankfurt
Prof. Dr. Jochen Maas, Frankfurt
Dr. Milan Novakovic, Berlin
Prof. Dr. Friedemann Paul, Berlin
Dr. Otto-Quintus Russe, Frankfurt
Prof. Dr. Manfred Schubert-Szilavecz, Frankfurt
Prof. Dr. Fritz Sörgel, Heroldsberg
Dr. Gerhard Tischler, Berlin
Dr. Christian Ude, Darmstadt
Dr. Dagmar Walluf-Blume, Berlin

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